Sonntag, 19. Juli 2020

[Rez] "Das Aquarium" von Franziska Lange

(c) Bildrechte: SadWolf
"Das Aquarium"
von Franziska Lange
Verlag: SadWolf, 2016
Einzelband | 237 Seiten
[TB] ISBN: 978-3946446262

~Klappentext~
Man könnte sagen, George ist ein Mensch des 21. Jahrhunderts. Der Webdesigner verbringt 18 Stunden täglich vor dem Computer, kommuniziert per E-Mail, hat drei Fernseher gleichzeitig laufen und vereinbart Termine per WhatsApp. Aber: George ist ein Einsiedler.
Er lebt und arbeitet in seinem Hamburger Loft in selbstgewählter Isolation. Der Outsider hat seit Jahren das Haus nicht verlassen, er leidet unter Panikattacken und führt Selbstgespräche. Seine besten Freunde sind Amazon Prime und sein Kater Dr. Van Helsing.
In sein abgekapseltes Dasein platzt ein schrulliger Mitbewohner; das Letzte, was der Eremit gebrauchen kann. Lebenskünstler Paddy bringt Georges kleine Welt und sein autistisches Überlebenssystem komplett durcheinander – und dann ist da noch das trinkfreudige Pizzagirl Vivian, das ihn, den trockenen Alkoholiker, schmerzlich an seine Schwester Betty erinnert.
~Meine Meinung~
George, der Protagonist in "Das Aquarium", hat seit zwei Jahren seine Wohnung nicht verlassen, weil er dann Panikattacken bekommt. Grundsätzlich finde ich Mental Health Themen wichtig und interessant, sofern sie nachvollziehbar in Romanen eingebracht werden. Daher war ich wirklich neugierig, wie es George in seiner Lebenssituation ergeht und ob er am Ende eine Lösung für sich findet.

Die Handlung verlief dann allerdings unerwartet unproblematisch für George. Erst lässt er eine Pizzabotin rein und verbringt einen Fernsehabend mit ihr. Dann hat er Besuch von einem alten Freund, der ihm kurzerhand einen Mitbewohner organisiert. Und dessen Schwester wohnt dann auch kurzzeitig bei George, ebenso wie eine weitere Freundin von George. Er ist also alles andere als einsam in seiner Wohnung - und das total plötzlich nach zwei Jahren Einsamkeit. Dafür geht er erstaunlich locker und entspannt mit der Situation um und keiner seiner Gäste spricht sein Problem offen an - was ich durchaus seltsam fand. Klar, nicht jeder Mensch ist ein unsensibler Trampel, aber zumindest vorsichtig anfragen, warum George die Wohnung nicht verlassen kann, hätte ich nach Wochen des Zusammenlebens doch vllt mal getan.

Nebenbei fließt ein, was George in seiner Vergangenheit erlebt hat. Aber ob das der einzige Grund ist, weshalb er die Wohnung nicht verlassen kann, bleibt unklar. Er fühlt sich auf jeden Fall schuldig und unnütz, da er die Sache aus der Vergangenheit nicht verhindern konnte. Für mich blieb es aber zu schwammig, um wirklich verstehen zu können, was in George vor geht.
Daneben ist George, aus dessen Sicht alles beschrieben wird, sehr zynisch, was ich eigentlich mag. Dennoch wurde er mir nie sympathisch, da er zeitgleich auch relativ sexistisch über die Frauen in seinem Umfeld denkt. Im Zusammenhang mit Emma, die Schwester von seinem Mitbewohner, denkt er z.B. immer nur wie hübsch sie anzusehen ist und dass man ihr ja nicht zuhören braucht, solange sie nur gut dabei aussieht... Auch ging mir Georges Zynismus und abwertende Haltung manchmal zu weit und war auch stellenweise einfach mega unangebracht. Beispiel: "...sondern eher die Konsistenz der Masse hatte, die man im Innern von, politisch korrekt ausgedrückt, Schokoküssen findet." Wozu dieses unnötige hervorheben von "politisch korrekt"? Möchte er lieber rassistisch sein dürfen?

Was ich wiederum interessant umgesetzt fand, waren George Gedankengänge bzw. die Art, die sie geschrieben sind. Es ist tatsächlich oftmals quasi 1:1 aus seinem Kopf entnommen, wirkt dadurch wirr, wenn er aufgebracht oder erschöpft ist und klarer, wenn es ihm gut geht. In einer Szene hat er auch einen Nervenzusammenbruch und fantasiert daraufhin, wobei er Träume und Realität vermischt. Das kam ziemlich gut rüber und war definitiv mal was anderes!
Stellenweise macht George sich auch wirklich sinnvolle Gedanken um die Welt. Es geht z.B. auch darum, wozu er denn seine Wohnung verlassen sollte. Was verpasst er wirklich? Ist die Welt dort draußen nicht eh schlecht und sinnfrei? Muss man sich das tatsächlich antun? Das waren die Passagen, die ich wirklich gut fand, denn sie werfen nochmal einen anderen Blick auf das Leben, das er aktuell führt.

Das Ende war dann... plötzlich und etwas zu tragisch und ich glaube auch nicht, dass es letztlich alles so einfach ist wie dargestellt...
Alles in Allem war die Grundidee wirklich toll und auch die Erzählweise mochte ich. Aber es gab halt auch viele Punkte, die ich nicht wirklich nachvollziehen konnte und gerade George als Protagonist war mir leider zu unsympathisch.

4 Kommentare:

  1. Hallo liebe Alica,
    ich hatte mich auch schon durchs Verlagsprogramm geblättert und bin an diesem Buch "hängengeblieben". Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich es lesen möchte. Gerade das, was du über George schreibst, wäre mir vermultich auch sauer aufgestoßen. Wie kann man eine Person denn nur aufs Äußerliche runterbrechen? Ich danke dir für deine ehrliche Rezension anhand der ich mir ein besseres Bild vom Inhalt des Buches machen konnte.

    Ich wünsche dir einen schönen Start in deine neue Woche.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja

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    1. Das Buch klang auch wirklich mega interessant und das Thema finde ich sehr spannend. Aber ich merke auch einfach, dass ich für ein solches Verhalten von Protagonisten wenig Verständnis aufbringen kann... :( Wenn am Ende zumindest ein Umdenken erfolgen würde, dass man das Gefühl hat, die Charaktere lernen dazu... Aber das war hier ja auch nicht... u.u

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  2. Hallo liebe ALica,

    ich muss zugeben, mich hat der Klappentext schon so ein bisschen irritiert - "autistisches Überlebenssystem", ist der Protagonist Autist? Wenn ja, klingt es irgendwie nicht so wirlich authentisch, wenn nein, finde ich die Formulierung sehr ungünstig.
    Davon abgesehen klingt deine Rezension nicht wirklich nach einem Buch, das ich lesen wollen würde, auf Sexsimus und Kommentare wie "politisch korrekt" kann ich dann doch verzichten ...
    Schöne Rezension auf jeden Fall!

    Liebe Grüße ♥♥♥

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    1. Stimmt, das ist im Klappentext ungünstig formuliert. Es wird im Buch zumindest überhaupt nicht thematisiert, falls er Autist sein soll. Also vermutlich auch nur eine "schlechte" Formulierung.
      Ich hatte bei dem Buch halt auch echt was anderes erwartet.

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