Dienstag, 2. Juni 2015

[Rezi] "Die Einsamkeit der Primzahlen" von Paolo Giordana

(c) Bildrechte: Karl Blessing Verlag
"Die Einsamkeit der Primzahlen"
von Paolo Giordana
Originaltitel: La solitudine dei numeri primi
Einzelband
Formate:
~Karl Blessing Verlag: Hardcover, 368 S., August 2009
~Heyne Verlag: Taschenbuch, 368 S., Dezember 2010

~Inhalt~
Seit Alice als junges Mädchen einen Skiunfall hatte, hat sie ein steifes Bein und eine hässliche Narbe am Bauch. Sie hasst ihren Körper seitdem und in dem Verlangen, schön zu sein, hungert sie. Sie hat in der Schule keine Freunde und wünscht sich nichts mehr, als geliebt und anerkannt zu werden.
Der hochbegabte Mattia hatte als Kind eine Zwillingsschwester – Michela – die geistig behindert war. Mattia, der stets auf seine Schwester aufpassen musste, konnte keine Freunde finden. Und so ließ er Michela, in der Hoffnung auf Freunde, vor einer Geburtstagsfeier im Park zurück. Doch als er sie später am Abend abholen will, ist sie verschwunden und wird danach nie wieder gefunden. Mattia gibt sich die Schuld, zieht sich in sich zurück und fühlt sich nur durch selbstzugefügte Schmerzen real.

~Eigene Meinung~
„Die Einsamkeit der Primzahlen“ handelt von Alice und Mattia – zwei durch traumatische Ereignisse in ihrer Kindheit geprägte Menschen, die einfach keinen Platz in dieser Welt zu finden scheinen. Ihre Geschichte wird von ihrer Kindheit bis in ihr Erwachsenenalter hinein erzählt und beschreibt, wie sich ihre Wege kreuzen, wieder trennen und am Ende doch wieder zusammen zu finden versuchen.

Der Inhalt ist ziemlich schwer und bedrückend. Das Leid, die Einsamkeit und den Selbsthass den die beiden immer wieder spüren, kam bei mir als Leser deutlich an. Alice' Magersucht, die sie ihr Leben lang begleitet und gegen das niemand etwas auszurichten vermag, ist sehr verständlich und wie ich fand realistisch dargestellt. Ich fand es allerdings vor allem zum Ende hin seltsam, dass niemand Alice gezwungen hat, eine Therapie zu machen, denn es war jedem über Jahre hinweg klar, dass sie praktisch nichts isst. Die halbherzigen Versuche, die gelgentlich angesprochen wurden, verebbten immer im Sand, sobald Alice sich weigerte, über das Thema überhaupt zu sprechen.

Mattia konnte ich die meiste Zeit auch verstehen. Er ist ein Mathegenie und weiß mit den Alltagsdingen wenig anzufangen, fühlt sich schnell eingeengt und als würde sich ihm die Kehle zuschnüren, wenn etwas unvorhergesehendes passiert. Bei ihm muss alles in perfekter Ordnung sein. Er kam mir manchmal schon fast autistisch vor, wie er sich in seinen Matheformeln verliert, aber kein ordentliches Gespräch über alltägliche Dinge mit irgendwem führen kann. Dabei erfährt man als Leser immer wieder, dass er machnes Mal gerne offener sein würde, aber einfach nicht aus seiner Haut kommt. Ich hätte mir gewünscht, dass er zumindest zum Ende des Buches hin mal ausspricht, was er wirklich will und denkt. Doch dahingehend blieb die Entwicklung aus.

Das Buch beschreibt sehr klar, wie zwei Menschen, die scheinbar für einander bestimmt sind, doch nicht zueinander finden, weil sie sich selbst im Weg stehen. Wie sie sich über Jahre hinweg nicht sehen, nichts zu sagen haben, aber einander nicht aus dem Kopf bekommen. Wie sie versuchen, ihr Leben dennoch auf die Reihe zu bekommen und am Ende an denselben Problemen scheitern, die sie von Anfang an mit sich tragen. Ich fand das Buch und die Charaktere insgesamt sehr authentisch und es lässt mich mit einem bedrückenden, traurigen und nachdenklichen Gefühl zurück.

Allerdings bleiben einige offene Fragen zurück, da vieles nicht näher ausgeführt wird, ganz so, als sei es im Grunde unbedeutend (was es im gesamten Zusammenhang vielleicht auch ist, aber der Leser hätte ja am Ende doch gerne alles geklärt bekommen, vor allem wenn es Dinge sind, die ohne Erklärung recht unlogisch erscheinen). Manches wird auch erst später wieder wie nebensächlich erwähnt. Besonders schade fand ich es, dass nie direkt darauf eingegangen wird, was Alice und Mattia aneinander finden. Wenn sie zusammen sind, hatte ich stets das Gefühl, eine Wolke von Verständnis und „Gleichartigkeit“ würde sie umgeben, doch nach Außen hin zeigen sich die beiden das kaum (vor allem Mattia ist sehr abweisend), weshalb es im Grund unverständlich ist, warum sie über die Jahre hinweg so sehr verbunden sind.

Ein großartiges Buch mit ein paar Schwächen, aber so schön und traurig geschrieben, dass es mir insgesamt doch sehr gut gefallen hat, obwohl das absolut nicht mein favorisiertes Genre ist. Am Ende hat mir zwar die Charakterentwicklung gefehlt, doch bei solch speziellen Menschen und da auch im realen Leben nicht immer alles läuft, wie es am besten wäre, ist die Handlung vielleicht sogar näher an der Realität dran, als man als Leser lesen möchte.

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