Dienstag, 25. Januar 2022

[Rez] "Herkunft" von Saša Stanišić

(c) Bildrechte: btb
 
"Herkunft"
von Saša Stanišić
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (HC, 2019) & btb (TB, 2020)
Einzelband | 368 Seiten
ISBN: [HC] 978-3630874739 | [TB] 978-3442719709

~Klappentext~
HERKUNFT ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt.
HERKUNFT ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache, Schwarzarbeit, die Stafette der Jugend und viele Sommer. Den Sommer, als mein Großvater meiner Großmutter beim Tanzen derart auf den Fuß trat, dass ich beinahe nie geboren worden wäre. Den Sommer, als ich fast ertrank. Den Sommer, in dem die Bundesregierung die Grenzen nicht schloss und der dem Sommer ähnlich war, als ich über viele Grenzen nach Deutschland floh.
HERKUNFT ist ein Abschied von meiner dementen Großmutter. Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre. HERKUNFT ist traurig, weil Herkunft für mich zu tun hat mit dem, das nicht mehr zu haben ist.
In HERKUNFT sprechen die Toten und die Schlangen, und meine Großtante Zagorka macht sich in die Sowjetunion auf, um Kosmonautin zu werden.
Diese sind auch HERKUNFT: ein Flößer, ein Bremser, eine Marxismus-Professorin, die Marx vergessen hat. Ein bosnischer Polizist, der gern bestochen werden möchte. Ein Wehrmachtssoldat, der Milch mag. Eine Grundschule für drei Schüler. Ein Nationalismus. Ein Yugo. Ein Tito. Ein Eichendorff. Ein Saša Stanišić.
~Meine Meinung~
Wie der Titel schon vermuten lässt, geht es hier um die Bedeutung von Herkunft. Saša Stanišić erzählt dabei in einer (wenn ich richtig recherchiert habe) fiktiven Autobiografie von seiner Jugend im ehemaligen Jugoslawien, der Flucht vor dem Krieg nach Deutschland, seinem anschließenden Leben in Deutschland und seiner Verbindung zu seiner Verwandtschaft im heutigen Bosnien. Die Kapitel sind dabei eher kurz gehalten und springen in er Zeit ziemlich hin und her, wobei nicht immer in der Kapitelüberschrift steht, in welchem Jahr man sich gerade befindet. Hinzu kommt ein leicht wirrer Satzbau, an den man sich auch erstmal gewöhnen muss. Der Einstieg in den Roman fiel mir daher etwas schwer, aber sobald ich in der Erzählung und dem Stil drin war, lief es flüssig weiter. Ab da war ich auch richtig gefesselt von der fiktiven Lebensgeschichte, die deutlich macht, dass Herkunft für jeden Menschen etwas anderes bedeutet, man aber dennoch oft darauf reduziert wird.

In der Hinsicht ist der Roman auch (leider) weiterhin aktuell, geht es doch am Beispiel von Saša um einen Migranten in Deutschland und wie ihm und seiner Familie das Leben schwer gemacht wird. Ohne allzu dramatisch zu werden, beschreibt Saša Stanišić seinen Alltag, die kleinen und großen Hürden, die freundlichen und weniger freundlichen Begegnungen.
Deutlich wird auch der Unterschied zu seinem Leben in Jugoslawien/Bosnien und wie die Menschen dort mit Herkunft, Verwandtschaft und Freundschaft umgehen.

Daneben wird immer wieder die in Bosnien lebende Großmutter thematisiert, die mit zunehmenden Alter eine Demenz entwickelt und wie sich dies auf ihr eigenes Leben und Sašas auswirkt. Wie Erinnerungen langsam entweichen und damit auch ein Stück weit die Vergangenheit.

"Herkunft" war eine für mich eher ungewöhnliche Lektüre, die mich aber dennoch packen und zum Nachdenken anregen konnte. Denn ehrlich gesagt habe ich mir selten Gedanken über meine eigene Herkunft gemacht, einfach weil es für mich nur selten von Bedeutung in meinem Alltag war. Entsprechend hat mich die Geschichte auf eine Art berührt, die ich schwer in Worte fassen kann. Es war eine Art Verständnis gemischt mit der Sehnsucht nach einem Land, in dem ich noch nie war. 
Definitiv eine Leseempfehlung, aber schaut vorher gerne erstmal in eine Leseprobe rein, ob ihr mit dem Schreibstil klarkommt.

Und weil Livias Rezension zu dem Buch viel besser geworden ist als meine jemals sein könnte und mich zum Kauf animiert hatte, verlinke ich euch diese hier noch. :)

2 Kommentare:

  1. Ach, Alica

    Danke, danke, danke für deine Worte, die haben mich tief berührt. Dir ist eine hervorragende Rezension gelungen und es ehrt mich sehr, dass du meine Rezension verlinkt hast.

    Das Buch ist einfach sooo wunderschön und ich hatte dieses Gefühl vorher noch nie, aber bei diesem Buch schon: ich hielt es druckfrisch in der Hand und war mir fast sicher, den Gewinner des deutschen Buchpreises entdeckt zu haben. Sonst mache ich mir aus all diesen Preisen ja nichts, verpasse die meisten Skandale und Anwärter:innen, aber bei diesem Buch war es anders.

    Mein sehr persönlicher Bezug zu Bosnien lässt mich eine solche Lektüre natürlich auch ganz anders lesen und ich reagiere sicher sensibler auf Zwischentöne usw. und es freut mich einfach gerade so sehr, dass du die Zeit für das Buch gefunden hast und dass es dir gefallen hat.

    Alles Liebe an dich
    Livia

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    1. Freut mich sehr, dass dir meine Rezension gefällt! :3 Und ich bin wirklich froh, deine Rezension damals gelesen zu haben, sonst hätte ich vermutlich nie zu diesem schönen Buch gegriffen!

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